Das Damoklesschwert die Insolvenz: letzter Ausweg oder reelle Chance?

Unsere Branche steht vor großen Herausforderungen und je länger die Restriktionen dauern, desto größer wird die Gefahr, dass viele gastronomische Betriebe in die Insolvenz schlittern. Aus diesem Grund trafen wir uns mit dem wohl renommiertesten Insolvenzverwalter Berlins zum Gespräch und sprachen mit ihm im Restaurant Carl&Sophie in Moabit über seine Sicht der Dinge. Das Gespräch führt Bernhard Moser, Präsidiumsmitglied und Leiter der Fachgruppe flagship:

© Mönning Feser Partner, Udo Feser Rechtsanwalt

Herr Feser, seit nunmehr 38 Jahren arbeiten Sie als Insolvenzverwalter in Berlin. Wie schätzen Sie die derzeitige Krise durch Covid-19  ein? Haben Sie im Moment besonders viel zu tun?

Die Insolvenzanträge halten sich zur Zeit in Grenzen. Dies betrifft nicht nur die Gerichte an denen ich tätig bin. Es hängt auch damit zusammen, dass die Insolvenzantragspflicht im Falle der Überschuldung und der Zahlungsunfähigkeit vom Gesetzgeber bis zum 30. September 2020 ausgesetzt wurde. Normalerweise hat bei Vorliegen dieser Insolvenzgründe bei Kapitalgesellschaften hat der Geschäftsführer oder Vorstand einer Kapitalgesellschaft immer die Pflicht einen Insolvenzantrag zu stellen, das wurde nunmehr erst einmal ausgesetzt, um etwas Druck aus dem Kessel zu nehmen. Dennoch muss ich aber davor warnen, dass die Aufhebung des Insolvenzantrags nur dann gilt, wenn die eingetretene Zahlungsunfähigkeit oder Überschuldung auf die Krise durch den Corona-Virus zurückzuführen ist. Sollten die Insolvenzgründe nichts mit der Pandemie zu tun haben beziehungsweise bereits vorher bestanden haben, gilt die Antragspflicht mit allen haftungsrechtlichen Folgen weiterhin. Es besteht hier ein erhebliches Risiko. Das wird sehr oft übersehen.
Ein weiterer Grund für die geringe Zahl an Insolvenzen ist, dass durch die Überbrückungshilfen, die Kredite sowie die Kurzarbeit die Liquiditätsfrage nach meiner Einschätzung so einigermaßen entspannt blieb. Nach meiner Einschätzung wird sich das aber nach dem 30. September 2020 ändern. Wenn kein Wunder passiert, dann rechne ich mit einer massiven Insolvenzwelle, vor allem auch in der Gastronomie, in der Hotellerie und im Cateringgewerbe.

Die Berliner Gerichte beauftragen Sie auffallend oft mit der Betreuung gastronomischer Projekte. Wissen Sie warum das so ist?

Jeder Richter darf sich frei für einen Insolvenzberater entscheiden. Eine klassische Spezialisierung unter den Insolvenzverwaltern gibt es nicht. Bei mir ist es so, dass ich im Laufe meiner beruflichen Tätigkeit seit 1981 eine Vielzahl von Gastronomiebetrieben, Hotels und kulturellen Einrichtungen als Insolvenzverwalter betreut habe und mit Bezug auf diese Branchen einen recht guten Ruf innerhalb der Richterschaft besitze. Es ist mir in der Vergangenheit immer wieder gelungen Betriebe zu erhalten und gemeinsam mit dem Geschäftsführer zu sanieren. Darunter sind auch sehr namhafte Betriebe, aber darüber darf ich natürlich nicht reden.

Ich gehe davon aus, dass die Insolvenzrichter mich wegen des dabei erworbenen Know- hows und den gesammelten Erfahrungen bestellen.

Gibt es eine Eigenschaft bei insolventen Gastronomen, die Ihnen wiederholte aufgefallen ist? Kann man daraus einen Tipp für Gründer ableiten?

Generell ist es so, dass es nicht nur eine Ursache für eine Insolvenz gibt. Diese Erkenntnis bezieht sich auf alle Branchen. Bei gastronomischen Betrieben fällt jedoch auf, dass es sehr oft erhebliche Mängel im kaufmännischen Bereich gibt. Ich stelle immer wieder fest, dass insbesondere die Buchhaltung sich oft in einem desolaten Zustand befindet, dass Steuererklärungen und Jahresabschlüsse erheblich rückständig sind, dass es keine Liquiditätsplanung gibt, dass die Bezahlung offener Rechnungen nicht fristgerecht erfolgt, was zu unnötigen Mahnbescheiden und zu zusätzlichen Kosten führt und dass oft der Überblick über die bestehenden Verbindlichkeiten fehlt. Darüber hinaus gibt es viele weitere Gründe, die teils in der Person des Unternehmens, teils im Konzept liegen, die die Insolvenzsituation herbeiführen. Es gibt wirklich viele sehr begabte Gastronomen, tolle Gastgeber, gute Köche und Weinfachleute, die aber dringend kaufmännische Unterstützung ab dem ersten Tag benötigen würden. Ich hoffe auch, dass mein Interview in diesem Magazin dazu führt, dass einige Gastronomen in der Anfangsphase ihrer gewerblichen Tätigkeit den Mangel erkennen und sich eventuell in diesem Bereich noch einmal fortbilden oder sich professionelle Hilfe holen. Steuerberater können das oft nicht gänzlich kompensieren.

Woran erkennt der Unternehmer, dass er Hilfe braucht und ab wann muss er sich spätestens Rat suchen. Und bei wem?

Die Erfahrung zeigt, dass die Unternehmen fast immer zu spät den Insolvenzantrag stellen. In solchen Fällen ist die Einleitung und Umsetzung von Sanierungsmaßnahmen kaum noch möglich. Erkennt der Unternehmer, dass er absehbar, also in 1 bis 2 Monaten nicht mehr in der Lage sein wird, seine fälligen Verbindlichkeiten zu bedienen, ist der Zeitpunkt gekommen Hilfe zu holen, gegebenenfalls auch den Insolvenzantrag zu stellen. Deshalb ist die Liquiditätsplanung so wichtig. Eine Zahlungskrise kündigt sich jedoch schon wesentlich früher an. Sei es, dass die Unternehmenskonzeption nicht stimmt, die abgeschlossenen Verträge (Mietverträge) dauerhaft nicht finanzierbar sind oder, dass es im Gesellschafterkreis zu Problemen kommt. Auch hier ist eine frühzeitige Reaktion wichtig. Die Frage, nach dem Berater ist eine schwierige. Der eigene Steuerberater kennt die finanzielle Situation des Mandanten. Ist aber nach meiner Erfahrung auch oft Teil des Problems, weil die finanzielle Schieflage des Mandanten und die Notwendigkeit zu handeln nicht deutlich genug angesprochen wird. Es fehlt hier auch die Erfahrung auf dem Gebiet der Restrukturierung. Es gibt Unternehmensberater, Anwälte, Wirtschaftsprüfer die sich auf dieses Thema spezialisiert haben. Hier hilft ein Blick ins Internet. Auch der DEHOGA kann sicher durch Empfehlungen weiterhelfen. Sollte ein Insolvenzantrag gestellt werden müssen, empfehle ich die Website des zuständigen Amtsgerichts (z.B. Amtsgericht Charlottenburg) aufzusuchen. Dort ist das Formular eines Musterinsolvenzantrages hinterlegt. Dieser kann ausgefüllt und beim zuständigen Gericht eingereicht werden. Dazu benötigt man keinen Berater und spart viel Geld. Wichtig ist, darauf weise ich immer wieder hin: der Insolvenzantrag ist nicht automatisch das Ende Ihres Betriebes und auch nicht das ultimative Eingeständnis des eigenen Scheiterns. Es ist wie oft auch in der Medizin, dass man besser früher zum Arzt geht als zu spät. Einen halbwegs gesunden Betrieb mit gutem Konzept und guten Marktchancen kann man viel leichter retten. Die Insolvenz ist, auch hier vergleichbar mit der Medizin ein notwendiger Eingriff. Besser man macht ihn früh, denn irgendwann macht man das nicht mehr aus freien Stücken und hat auch keine Kontrolle mehr über die Notmaßnahmen.

Man beklagte in Deutschland lange, dass es keine „Kultur des Scheiterns“ gibt. Dass dem insolventen Unternehmer zu schnell Fehlverhalten, Unfähigkeit und mangelnde Seriosität unterstellt wurden. Hat sich das geändert?

Es ist schon richtig, dass es in Deutschland keine „Kultur des Scheiterns“ gibt. Das ist insbesondere historisch bestimmt. Der anglo-amerikanische Rechtsraum legt sein Augenmerk auf die Schuldnerseite. Dem Schuldner soll durch die Maßnahmen im Insolvenzverfahren ein Neustart ermöglicht werden. Ich stelle jedoch seit einigen Jahren in Deutschland fest, dass sich das langsam ändert. Dazu haben sicher auch die vielen Verfahren beigetragen, bei denen die Sanierung des insolventen Unternehmens gelang.

Wie schätzen Sie die Chancen für einen Neustart nach einer Insolvenz ein? Schaffen es die Unternehmer überhaupt noch einmal mit dem Manko Schufaeintrag und negativer Creditreformauskunft durchzustarten?

Ich bin wirklich der Ansicht, dass die Chancen für einen Neustart nach einer Insolvenz gut stehen. Die Insolvenzordnung eröffnet verschiedene Instrumentarien, um zu einer schnellen Sanierung und Entschuldung im Verfahren zu kommen. Das gilt sowohl für Kapitalgesellschaften als auch für natürliche Personen. Der Schufa-Eintrag bleibt leider auch nach Entschuldung und Abschluss des Verfahrens weitere 3 Jahre bestehen. Aus meiner Erfahrung hindert dies jedoch nicht einen Neustart. Hier gilt vor allem, dass man dann völlig offen mit den Banken und Lieferanten über die Einträge und die erledigte Insolvenz spricht. Die Erfahrung aus der Vergangenheit zeigt, dass viele heute enorm erfolgreiche Unternehmer in der Vergangenheit bereits eine Insolvenz erlebt haben und daraus für die Zukunft viel gelernt haben.

Wie sieht so ein Insolvenzverfahren in der Praxis aus?

Bei Vorliegen der Insolvenzgründe (drohende Zahlungsunfähigkeit, Zahlungsunfähigkeit Überschuldung) kann ein Insolvenzantrag beim zuständigen Amtsgericht gestellt werden. Bei Kapitalgesellschaften besteht bei Zahlungsunfähigkeit oder Überschuldung eine Insolvenzantragspflicht. Der zuständige Insolvenzrichter setzt nach Prüfung der Antragsformalien der Insolvenzordnung einen Sachverständigen ein, der zu prüfen hat, ob das Insolvenzverfahren eröffnet werden kann. Dies geschieht in Form eines Gutachtens. In diesem Gutachten finden sich auch Ausführungen zu evtl. Sanierungsmöglichkeiten. Sind die Gerichtskosten gedeckt wird das Insolvenzverfahren eröffnet und ein Insolvenzverwalter eingesetzt. Dieser bearbeitet das Verfahren und setzt evtl. Sanierungsmaßnahmen um. Im Verlaufe des Verfahrens gibt es eine Gläubigerversammlung beim Amtsgericht und einen Termin in dem die Forderungen der Gläubiger geprüft werden. Am Ende des Verfahrens wird die vorhandene Masse quotenmäßig an die Gläubiger verteilt und das Verfahren aufgehoben.

Wonach entscheiden Sie, ob Sie einen gastronomischen Betrieb fortführen, vielleicht sogar mit dem Unternehmer selber, bzw. wann stellen Sie den Betrieb komplett und rasch ein?

Zunächst möchte ich betonen, dass ich nach meiner Einsetzung als Sachverständiger mich umgehend mit der Antragstellerin in Verbindung setze, um mir einen Überblick über die wirtschaftliche Lage der Schuldnerin zu verschaffen. Sollte der Geschäftsbetrieb noch nicht eingestellt sein, beantrage ich ein Vorverfahren (vorläufige Insolvenzverwaltung). In diesem Vorverfahren werden dann zusammen mit dem Geschäftsführer Sanierungsmaßnahmen geprüft. Hilfreich ist hier insbesondere die Möglichkeit des Insolvenzgeldes. Das Insolvenzgeld ist der volle Lohnersatz für die Mitglieder für maximal 3 Monate. Das heißt, ich kann den Betrieb für 3 Monate fortführen ohne die Nettolöhne und die Lohnnebenkosten bezahlen zu müssen. Das Insolvenzgeld muss auch nicht an die Bundesagentur für Arbeit zurückgezahlt werden. Es wird lediglich zur Tabelle angemeldet.

Voraussetzung für die Betriebsfortführung ist jedoch immer, dass der Betrieb sanierungsfähig ist. Dies prüfe ich zusammen mit dem Geschäftsführer. Sollte der Betrieb nicht sanierungsfähig sein, stelle ich den Betrieb ein und liquidiere ihn.

Wie schaffe ich es in einer Wirtschaftskrise Frau/Herr der Lage zu bleiben? Kann ich das Mittel der Insolvenz sogar nutzen, um vernünftig zu entschulden?

Ich hatte bereits darauf hingewiesen, dass das Insolvenzverfahren verschiedene Maßnahmen zur Verfügung stellt, um eine Entschuldung zu erreichen. Für Kapitalgesellschaften ist das der Insolvenzplan der zur Entschuldung führt. Eine andere Maßnahme wär die übertragende Sanierung, die dazu führt, dass der erhaltenswerte Kern eines Geschäftsbetriebes auf einen neuen Rechtsträger übertragen wird. Bei den natürlichen Personen oder dem Einzelkaufmann käme das Restschuldbefreiungsverfahren in Betracht. Dies würde nach 6 Jahren zum Erlass der Verbindlichkeiten führen. Auch bei natürlichen Personen und Einzelkaufleuten ist die Durchführung des Insolvenzplanverfahrens möglich.

Darf ich mir im Insolvenzfall den Insolvenzverwalter aussuchen?

Die Einsetzung des Insolvenzverwalters wird vom Richter entschieden. Er ist dabei unabhängig. Man kann jedoch Wünsche zur Person des Insolvenzverwalters äußern. Diese Wünsche werden normalerweise berücksichtigt.

Was könnten Bund und Land machen, damit diese Krise nicht in einer übermäßigen Insolvenzwelle endet?

Das ist eine schwer zu beantwortende Frage. Das hängt sicher auch davon ab, wie die weitere wirtschaftliche Lage sich gestalten wird. Die nach Eintritt der Pandemie gewährten Zuschüsse und Kredite waren sicher der richtige Weg, um einen Absturz der Betriebe in die Zahlungsunfähigkeit zu verhindern. Die Suspendierung der Insolvenzantragspflicht war sicher auch eine richtige Maßnahme. Doch jeder Kredit muss zurückgezahlt werden. Dies gilt ebenso für gestundete Steuern und Sozialversicherungsbeiträge. Jetzt kommt es darauf an, dass die Wirtschaft wieder in Schwung kommt und dass der Tourismus wieder angekurbelt wird, damit die Umsätze in der Gastronomie und im Einzelhandel die alte Stärke erreichen. Jede Sanierungsmaßnahme scheitert, wenn das Geschäftsmodell nicht mehr funktioniert.

Herr Feser, Sie hatten angeboten, dass sich DEHOGA Berlin-Mitglieder in der Krise an Sie wenden dürfen und Sie kostenlos eine Ersteinschätzung abgeben. Dafür wollen wir uns herzlich bedanken. Wie wollen Sie kontaktiert werden?

Ich bin gerne bereit den DEHOGA Berlin-Mitgliedern in der Krise eine erste Einschätzung zu geben. Eine Kontaktaufnahme kann telefonisch oder per Mail erfolgen.

 

MÖNNING FESER PARTNER

Rechtsanwälte Insolvenzverwalter

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