BAG liest aus Arbeitsschutzgesetz generelle Pflicht zur Arbeitszeiterfassung heraus

Mit einem weitreichenden Urteil hat das Bundesarbeitsgericht (BAG) am Dienstag seine bisherige Rechtsprechung zur Erfassung der Arbeitszeit auf den Kopf gestellt. Die Erfurter Richter lasen nämlich aus einer Regelung im Arbeitsschutzgesetz (ArbSchG) eine Pflicht des Arbeitgebers heraus, ein System einzuführen, mit dem die von den Arbeitnehmern geleistete Arbeitszeit erfasst werden kann. § 3 Abs. 2 Nr. 1 ArbSchG sagt ausdrücklich lediglich, dass der Arbeitgeber, um erforderliche Maßnahmen des Arbeitsschutzes durchzuführen, „für eine geeignete Organisation sorgen und die erforderlichen Mittel bereitstellen“ muss. Die Vorschrift müsse aber unionsrechtskonform so ausgelegt werden, dass der Arbeitgeber gesetzlich verpflichtet sei, die Arbeitszeiten der Arbeitnehmer zu erfassen. Mit dem Urteil entfernt sich das BAG weit vom Wortlaut des deutschen Gesetzes, trifft eine Entscheidung, die Sache des Gesetzgebers wäre und greift tief in bewährte Arbeitszeitmodelle wie Vertrauensarbeitszeit ein.

Hotellerie und Gastronomie müssen bereits seit der Einführung des gesetzlichen Mindestlohns 2015 die tägliche Arbeitszeit aller Mitarbeiter aufzeichnen, deren Monatseinkommen 2.958 Euro nicht überschreitet und die nicht nahe Familienangehörige sind. Deshalb sind die Auswirkungen des aktuellen BAG-Urteils auf die Branche begrenzt. Das aktuelle BAG-Urteil enthält solche Ausnahmen jedoch nicht, so dass davon wohl auch Mitarbeiter oberhalb der Verdienstgrenze, Ehepartner und Kinder zusätzlich betroffen sein werden.

Zur Art und Weise der Erfassung sowie zum Zeitpunkt der Erfassung sagt die bisher allein vorliegende Pressemitteilung des BAG nichts. Für eine Empfehlung seitens des DEHOGA zur praktischen Umsetzung müssen daher die Entscheidungsgründe abgewartet werden. Das sog. „Stechuhr-Urteil“ des Europäischen Gerichtshofes aus dem Jahr 2019, das die Rechtsprechungsänderung des BAG ausgelöst hat, spricht von einem „objektiven, verlässlichen und zugänglichen System, mit dem die von einem jeden Arbeitnehmer geleistete tägliche Arbeitszeit gemessen werden kann“. Daraus lesen manche Juristen eine Pflicht zur elektronischen Zeiterfassung heraus. Mindestlohngesetz und Mindestlohn-Dokumentationspflichtenverordnung enthalten solche Vorgaben bisher nicht, in vielen gastgewerblichen Betrieben wird die Arbeitszeit manuell erfasst. Vorstellbar ist auch, dass der Gesetzgeber jetzt noch Ausnahmen regelt, das ist nämlich nach der europäischen Arbeitszeitrichtlinie möglich. Keine Frage, Arbeitszeiten müssen korrekt erfasst werden. Aber wie das geschieht, muss der Entscheidung auf betrieblicher Ebene vorbehalten bleiben.

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